Oliver Roth – Der Drache lebt

Der Drache ist ein Fabelwesen, das im gesamten ostasiatischen Kulturkreis große Bedeutung hat. Auf dem europäischen Kontinent taucht die Figur des Drachen meist als Ungeheuer auf, wie in Tristan und Isolde oder der Nibelungen Sage. In Asien dagegen wird er mehr als Gottheit verehrt und weniger als Dämon verflucht. Man schreibt ihm mystische Fähigkeiten zu, die er von Reptilien, Vögeln und anderen Raubtieren übernommen hat. Bis in die Neuzeit wird der Drache von vielen Menschen als real existierendes Wesen angesehen. Allen Zweiflern sei gesagt, dass zumindest der chinesische Drache real und lebendig ist. Ob er eher über göttliche oder dämonische Wesenszüge verfügt ist umstritten.  

Der chinesische Drache

China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und Exportweltmeister. Chinas Bevölkerung liegt derzeit bei 1,33 Mrd. Menschen. Davon leben 850 Millionen als verarmte Bauern auf dem Land. Diese Bauern leben oft deutlich unterhalb der Armutsgrenze. Deshalb suchen immer mehr dieser Menschen ihre Chance in den wachsenden Metropolen. Die Urbanisierung der Bevölkerung schreitet rasant voran. Chinas Städte wachsen schneller, als dort  neuer Wohnraum bereitgestellt werden kann. Die Immobilienpreise steigen jährlich um 10%-15% in Metropolen wie Shanghai und Peking. Die gesamte Wirtschaft boomt seit 2001 und wächst alleine dieses Jahr um 10,5%. Das „Land des Lächelns“ strotzt vor Stärke und platzt dabei aus allen Nähten. China wächst schneller als es vielen lieb ist. Selbst die eigene Regierung in Peking ist besorgt und versucht das Wachstum unter Kontrolle zu halten um die Wirtschaft nicht zu überhitzen. Doch ein hohes Wachstum ist die einzige Chance der Chinesen den vielen verarmten Bauern auf dem Land und in den Städten eine Zukunft zu bieten. Deswegen kam es auch zu den Wirtschaftsreformen gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Der Weg von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft begann für die Chinesen Anfang der neunziger Jahre unter der Führung des großen alten Mannes Deng Xiaoping. Er propagierte einen chinesischen Sonderweg in der Wirtschaft und nannte ihn „sozialistische Marktwirtschaft“. Die Liberalisierung der Wirtschaft kam schnell voran. In den folgenden Jahren wurden Staatsunternehmen ohne strategische Bedeutung privatisiert, Entlassungen wurden rechtlich möglich gemacht, Bankenkredite basierten plötzlich auf der Bonität der Kreditnehmer, Unternehmensgründungen wurde staatlich massiv gefördert. Der Erfolg stellte sich schnell ein und in den Metropolen wuchs die Wirtschaft moderat bis ins neue Jahrtausend hinein. Allerdings hat alles seinen Preis. Denn dieser Erfolg wurde erkauft auf Kosten von künstlich niedrig gehaltenen Lebensmittelpreisen, was die Bauern in der Folge verarmen ließ. In der heute erfolgenden Wiedergutmachung werden die Bauern mit Steuererleichterungen und Strukturhilfen unterstützt, was aber nur mäßig greift. Ein weiterer Nachteil der Reform war das Phänomen der Arbeitslosigkeit. In den Städten standen plötzlich bis zu 20 Millionen Menschen aus den ehemaligen Staatsbetrieben auf der Straße. Mit staatlichen Wiederbeschäftigungsprogrammen wurden die Folgen des Strukturwandels erfolgreich bekämpft. Als China 2001 der WTO beitrat, war bereits jeder zweite Arbeitnehmer im privaten Sektor beschäftigt. Erst jetzt sollte der chinesische Drache richtig munter werden. Der Beitritt Chinas zum WTO sollte das Startsignal einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte sein. In dem WTO Vertrag legte China genau fest in welchem Zeitraum und in welchem Maße sie ihren Markt für ausländische Firmen öffnen müssen. Im Gegenzug öffneten andere Länder ihre Märkte für chinesische Produkte. Der Export boomt seit dem und so fungiert China heute als Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft. China wächst weiter und der Hunger nach Rohstoffen und politischer Macht wächst mit. Trotz Rohstoffreichtum und steigender Produktionseffizienz der Industrie kann der gigantische Bedarf der Chinesen nach Rohstoffen und Waren nicht alleine befriedigt werden. Rohstoffimporte sind unverzichtbar. China muss weiter wachsen damit die politische Stabilität im Lande erhalten bleibt. Für das kurzfristige Wachstum ist ein starker Export von enormer Bedeutung. Langfristig muss der Binnenmarkt schrittweise gestärkt werden. Für das kurzfristige und nachhaltige Wachstum Chinas ist die Sicherstellung der Rohstoffversorgung daher unerlässlich. Zur Sicherstellung des weiteren Erfolgs ergriffen die Chinesen u.a. folgende Maßnahmen.

Der Währungskrieg

Ein wesentlicher Grund für Chinas Wirtschaftsstärke ist der Exportüberschuss. Bei allem Respekt vor dem Fleiß der chinesischen Arbeiter haben auch währungspolitische Kniffe der chinesischen Administration zum Erfolg des Landes beigetragen. Damit das Wachstum auch in der Krise anhält, hielt man den Umtauschkurs des Yuan bewusst niedrig. Die Dollaranbindung des Yuan verschaffte China gerade in der Finanzkrise enorme Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz aus Deutschland und Japan. Denn der Dollar verlor massiv an Vertrauen der Anleger seit 2007. Der Yuan verlor mit und steigerte dadurch die Preisvorteile der chinesischen Exportindustrie. Nicht umsonst hat China in diesem Jahr gleichzeitig Deutschland als Exportweltmeister abgelöst und Japan vom zweiten Platz der größten Industrienationen verdrängt. Das Yuan/Dollar Verhältnis ist das Hauptthema im derzeitigen Währungskrieg der Nationen. Die USA fordern eine Yuan Aufwertung derzeit besonders intensiv, weil sie damit ihr Außenhandelsdefizit reduzieren wollen. Denn mit steigenden Exportquoten kann das deindustrialisierte Amerika nicht dienen. Die US Kongresswahlen stehen im Herbst an und verstärktes Säbelrasseln gehört zum politischen Geschäft. Der Druck auf China den Renminbi aufzuwerten wird aber über die Kongresswahlen hinaus anhalten. Zwingen kann China allerdings keiner Maßnahmen zu ergreifen. Denn protektionistische Reaktionen – über einen Zollkrieg – will keiner. China kämpft nicht nur über den Dollar gekonnt für ihre wirtschaftlichen Interessen. Japans Zentralbank kaufte kürzlich Milliarden Dollars auf um die eigene Währung abzuwerten, doch der Versuch misslang. Man munkelt von Gegen-Interventionen der chinesischen Zentralbank bei der gescheiterten Yen-Unternehmung der Bank of Japan. Der Yen ist auf einem 15 Jahreshoch zum Dollar, was der Exportwirtschaft Japans den Gar ausmacht und die deflationären Tendenzen in Nippon verstärkt. China hat wenig Interesse an verbesserten Exportchancen für Japans Wirtschaft und freut sich diebisch über den teuren Yen. Auch der aktuelle Euroanstieg hängt mit China zusammen, denn China kauft derzeit Euros. Erstens will man seine 2,5 Billionen US Dollar Währungsreserven vom Dollar unabhängiger machen. Und zweitens schwächt man mit einem starken Euro die europäische Exportkonkurrenz. Weitere Schlachten werden im Währungskrieg sicher noch folgen. Beim G-20 Gipfel in Seoul wird der Währungskrieg das Hauptthema der Staatschefs sein.

Rohstoffshopping

China sichert sich mit einer Doppelstrategie seine zukünftige Rohstoffversorgung. Die Chinesen verbessern zunächst, wie alle anderen rohstoffreichen Schwellenländer, die Effizienz der eigenen Rohstoffgewinnung. Zum andern übernehmen chinesische Unternehmen im Ausland Rohstofffirmen und sichern sich so die Bodenschätze gleich mit. Besonders im Fadenkreuz Chinas stehen Australien und Afrika. In Australien wurden in den letzten Jahren dutzende kleinerer Bergbauunternehmen aufgekauft. Den Bergbaugiganten Rio Tinto und BHP Billiton (Nummer zwei und drei im Eisenerzabbau weltweit) hat man bisher umsonst Avancen gemacht, weil die australische Regierung Einspruch dagegen eingelegt hat. Immerhin geht jede zweite Tonne australischen Eisenerzes nach China. Und die Preise steigen jährlich. Wer möchte unter diesen hervorragenden Bedingungen schon ungewünschten Einfluss des größten Kunden auf die Preise. Auch bei der Erdölversorgung mischt China kräftig vorne mit. 50 Mrd. Barrel Erdöl schlummern im Atlantik vor Brasiliens Küste. Der chinesische Staatskonzern Sinopec kaufte sich für vor kurzem eine 40% Beteiligung für 7 Mrd. US Dollar an der brasilianischen Tochter des spanischen Ölmultis Repsol. Diese Tochter besitzt Bohrrechte an den Erdölvorkommen. Und durch eine weitere Beteiligung am brasilianischen Staatskonzern Petrobras sichert sich Sinopec zusätzlich weitreichende Anteile an den vermuteten Erdölvorkommen Brasiliens. Weitere Investitionen wurden kürzlich in Peru (Silber) und Argentinien (Soja) vorgenommen.

Dreckige Deals

Kupfer aus Sambia, Kohle aus Mosambik oder Holz aus dem Kongo.

China entdeckt den afrikanischen Kontinent und seine rohstoffreichen

Vorzüge. Bei der Suche nach Ressourcen geht man nicht immer zimperlich vor und schreckt auch nicht vor Deals mit Despoten oder Krediten für Korruptionsweltmeister zurück. So wurde Angola ein Kredit von China gewährt, obwohl der IWF zuvor aufgrund fehlender Transparenz eine Kreditvergabe abgelehnt hatte. Angola zählt zu den korruptesten Ländern der Welt. Waffen für Islamisten oder Schuldenerlässe für Schurkenstaaten. Alles scheint möglich im Rennen um die letzten Ressourcen. Der wachsende Einfluss auf dem schwarzen Kontinent bringt Europäer und Amerikaner gegen China auf und lässt andererseits die Gesichter vieler afrikanischer Staatschefs strahlen. Über 40 Staatschefs besuchten Peking 2006 beim China–Afrika Gipfel. Die Geschäfte laufen hervorragend. China bekommt Rohstoffe und viele Despoten werden reich. Aber es gibt auch warnende Stimmen. Südafrikas Regierungschef Mbeki warnt vor einer Abhängigkeit des schwarzen Kontinents von China und weckt Erinnerungen an die dunkle Zeit des Kolonialismus. Doch der Trend setzt sich fort. Denn auch andere Schwellenländer wie Brasilien erhöhen ihren Einfluss in Afrika. Brasilien investiert stark in die Rohstoffgewinnung und verzehnfachte sein Handelsvolumen mit Afrika auf 26 Mrd. US Dollar. China steht mit Brasilien in der ersten Reihe, wenn es künftig um die Rohstoffverteilung Afrikas geht.

Griff nach den Sternen

Selbst vor Science Fiktion schreckt China nicht zurück. Der Mond ist dabei das Ziel der chinesischen Träume. Im Wettlauf um außerirdische Ressourcen will China Boden gutmachen und greift nach dem Mond. Vom Raumfahrtbahnhof Xichang in der Provinz  Sichuan starten mittlerweile mehrmals im Jahr Raketen zum Mond. Für die 285.000 Kilometer zum Erdtrabanten braucht eine Rakete bald nur noch 5 Tage. Es werden Fotos und weitere Versuche gemacht, um die verborgenen Bodenschätze aufzuspüren. Man sucht neben Uran, Kalium, Aluminium und Eisen besonders nach Helium3. Denn dieser Stoff, der sehr selten auf der Erde vorkommt, wird als möglicher Brennstoff in der Kernfusion angesehen, an der auch die Chinesen forschen. Wir reden hier über eine sehr langfristige Ausrichtung von Rohstoffgewinnung, denn erst 2017 soll erstmals eine chinesische Rakete Gesteinsproben vom Mond zur Erde bringen.

Verändertes Machtgefüge

China ist für die Zukunft gewappnet. Alle Schwellenländer positionieren sich im Wettlauf um Rohstoffe. Doch China hat sich die Poolposition ergattert. Die Europäer und Amerikaner schauen dabei untätig zu, wie das geostrategische Machtgefüge zugunsten der Schwellenländer verändert wird. Wer künftig die Kontrolle über unsere Rohstoffquellen besitzt, erhält auch die wirtschaftliche und politische Macht. Noch ist es nicht zu spät um aufzuholen. Doch China hat sich bereits einen strategischen Vorteil erarbeitet.  Es wird Zeit, dass sich der Westen auch wieder mit der Zukunft beschäftigt und sich nicht nur mit der Aufarbeitung der Finanz- und Wirtschaftskrise auseinandersetzt. Wer glaubt, dass die Veränderung des geostrategische Machtgefüges ihn nichts angeht, täuscht. Es sei daran erinnert, dass China bisher kaum politische Reformen durchgeführt wurden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren zu Recht die politischen Verhältnisse. China bleibt ein totalitärer Einparteienstaat mit dem Kommunismus als Staatsziel. Bisher war der Gigant – bis auf Tibet – friedlich. Doch ohne politische Reformen bleibt ein fader Beigeschmack. Die Welt spielt mit dem Feuer. Der chinesische Drache lebt und ist kein Mythos. Er ist sehr schlau und gewitzt. Er ist real und wird immer mächtiger. Und momentan ist China der Konkurrenz in vielem zwei Schritte voraus.

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