Oliver Roth – Interview mit dem Handelsblatt

Herr Roth, die Börsen sind am Dienstag zum wiederholten Male abgeschmiert. Kann man als Händler im Moment noch ruhig schlafen?

 

Ich schlafe ruhig, aber es erfüllt mich mit Zorn, wie Griechenland mit seinen europäischen Partnern umgeht. Wenn Herr Papandreou einen Volksentscheid will, hätte er das doch auch schon vor Wochen sagen können. Die Euro-Staaten eine Menge getan, um Griechenland zu helfen, da sollte sich das Land auch fair verhalten. Die plötzliche Ankündigung, wenige Tage nachdem die Euro-Staaten endlich eine Lösung für den Schuldenschnitt gefunden haben, empfinde ich als Provokation.

 

Was halten Sie, abgesehen vom Timing, von der Idee eines Plebiszits?

 

Ich bin ein großer Freund von Bürgerbeteiligungen und auch von Volksentscheiden. Aber ich glaube nicht, dass man extrem komplexe Themen – und dazu zählt Wirtschaft zweifelsohne – jedem so vermitteln kann, dass er eine rationale Entscheidung treffen kann. In Griechenland droht der Volksentscheid allein aufgrund der Unwissenheit vieler Bürger über die Konsequenzen eines negativen Votums zu scheitern. In Krisenzeiten darf nicht abgestimmt werden, was zu tun, ist. Jetzt müssen die Experten den Weg weisen. Im OP wird ja auch nicht darüber abgestimmt, wo der Arzt den Schnitt setzt.

 

Was passiert, wenn sich die Griechen gegen Schuldenschnitt und Sparpaket aussprechen?

 

Die EU muss in diesem Fall den Geldhahn sofort zudrehen. Die Konsequenz ist, dass Griechenland unkontrolliert Pleite geht – mit verheerenden Folgen in der Finanz- und Wirtschaftswelt.

 

Was erwidern Sie Experten wie Jim Rogers, die eine Pleite Griechenlands und einen Ausschluss aus der Euro-Zone als wünschenswert bezeichnen, weil dies zeigen würde, dass die Euro-Zone die Probleme konsequent bekämpft?

 

Ich sehe es genau anders herum. Wenn es die Euro-Staaten schaffen, Griechenland aus seiner verheerenden Situation herauszuholen, zeigt das Handlungsfähigkeit. Und die Vorgaben, die dem Land gemacht werden, zeigen die Bereitschaft, Fehler aus der Gründungszeit rückgängig zu machen. Über eine unkontrollierte Pleite ein Exempel zu statuieren, wäre ein Spiel mit dem Feuer. Der Renditeanstieg von Anleihen aus andere Krisenstaaten, insbesondere Italien, gibt einen deutlichen Hinweis, was passieren würde, wenn das Referendum negativ ausgeht.

 

Wie schätzen Sie die Lage in Italien ein?

 

Italien steht im Grund genommen nicht anders da als vor zehn Jahren. Die Schulden sind hoch, das Wirtschaftswachstum chronisch schwach. Das Problem ist die extrem hohe Sensibilität der Finanzmärkte für Schwächen. Alles wird zurzeit sehr kritisch gesehen. Und Italien hat die Chance verpasst, mit einem entschlossenen Sparpaket ein positives Zeichen zu setzen. Je länger die Lösung dauert, desto kritischer wird die Situation.

 

Die Schuldenkrise dominiert seit Monaten das Marktgeschehen. Hat sich die alte Börsenweisheit, dass politische Börsen kurze Beine haben, überholt?

 

Fakt ist, dass die Schuldenkrise alles andere dominiert. Kurzzeitig war die Angst vor einer Rezession ein Thema an der Börse, aber das ist schnell wieder übernommen. Die aktuellen Unternehmensberichte für das dritte Quartal, die unter dem Strich sehr gut ausfallen, kommen so gut wie gar nicht zur Geltung.

 

Wie gehen Sie als Händler damit um?

 

Man versucht, viel in die Politik hineinzulesen. Allerdings werden die zentralen Fragen hinter verschlossenen Türen verhandelt, die lassen sich nicht vorhersagen. Insofern ist die Planbarkeit sehr gering und man kann als Händler dem Markt nur hinterherlaufen. Man fühlt sich wie ein Spielball der Gezeiten…

 

und auf welcher Seite im Spiel man gerade steht, entscheidet der Zufall?

 

Es gibt schon noch Tage, an denen man einigermaßen planen kann. Aber etwa 50 Prozent sind im Moment Glück, das muss man so ehrlich sagen. Grundsätzlich hat man als Händler im Moment wenig zu lachen. Wenn es an den Märkten abwärts geht, verliert die Mehrheit an der Börse Geld, da man tendenziell long ist, also Aktien hält. Das sieht man ja auch in den aktuellen Quartalszahlen der Banken.

 

Wieso ist das so?

 

Das ist eine Folge der Rahmenbedingungen. Wenn ich Aktien kaufe, kann ich diese so lange halten wie ich möchte. Wenn ich dagegen auf fallende Kurse setze und Aktien leihe, um diese leer zu verkaufen, muss ich die Papiere binnen ein bis zwei Tagen zurückgeben.

 

Bei den aktuellen Bewegungen reicht das, um hohe Gewinne oder Verluste zu machen. Wie kommt es zu den extremen Schwankungen?

 

Die hohe Volatilität ist Ausdruck der Unsicherheit der Investoren. Die Märkte sind extrem kurzfristig. Langfristige Investoren haben sich schon lange verabschiedet, die mittelfristig Orientierten sind spätestens seit der Herabstufung der USA auch weg. Es dominiert die kurzfristige Spekulation und das führt zu extremen Ausschlägen.

 

Was muss passieren, damit die langfristigen Anleger an den Markt zurückkommen?

 

Wenn die Märkte wieder steigen, müssen auch Großinvestoren wie Fonds irgendwann investieren, damit ihre Performance stimmt. Sie verabschieden sich dann aber auch schnell wieder weg, wenn das Pendel zurückschlägt. Um nachhaltig Vertrauen aufzubauen, bedarf es Planbarkeit und Verlässlichkeit. Investoren müssten davon ausgehen können, dass es für mindestens sechs Monate ruhig, besser noch für mehrere Jahre ruhig, bleibt. Aber davon sind wir weit entfernt. Niemand kann vorhersagen, wie es in Griechenland weitergeht.

 

Fällt die Jahresendrally in diesem Jahr deshalb aus?

 

In der vergangenen Woche sah noch alles danach aus, als wenn es die Jahresendrally geben könnte. Die 7.000-Punkte-Marke im Dax war durchaus realistisch. Doch mit dem drohenden Referendum in Griechenland ist neuer Druck in den Markt gekommen, der anhalten dürfte. Das spricht nicht dagegen, dass der Markt bis zum Jahresende unter Schwankungen noch etwas steigt. Aber die Aussichten haben sich verschlechtert. Andererseits kann sich das Bild schnell wieder drehen. Wenn Papandreou mit seiner Vertrauensfrage im Parlament scheitert und das Referendum wieder in Frage gestellt, dürften die Börsen mit einem Freudensprung reagieren.

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