Vom Bieberer Berg aufs Börsenparkett

Er erklärt den Fernsehzuschauern die Hysterie der Aktienmärkte so schnörkellos, wie er früher für Kickers Offenbach auf Torejagd gegangen ist. Der Börsenmakler Oliver Roth hat seine zweite Karriere mit Bedacht geplant.

Von Steffen Uttich

27. Oktober 2008

Als Anfang Oktober die Finanzkrise Panikwellen an den Börsen auslöst und die Aktienkurse ins Bodenlose zu fallen scheinen, schlägt die Stunde von Oliver Roth. Der 40 Jahre alte Börsenmakler gehört zu dem Häuflein der Aufrechten, die den Parketthandel an der Frankfurter Börse am Laufen halten. Der größte Teil der Aktientransaktionen wird längst über den Computer abgewickelt. Doch ein Computer kann nicht verstehen, was da gerade auf den Finanzmärkten passiert – und beschreiben schon gar nicht. So taucht Oliver Roth seither in immer kürzeren Abständen vor den Kameras auf – entweder im bekannten Börsensaal stehend oder vor den Bildschirmen an seinem Arbeitsplatz sitzend – und erzählt, was er sieht. „Wir haben so eine Art Angststarre hier“, sagt er beispielsweise im ARD-Morgenmagazin. „So eine Anspannung, wie wir sie jetzt erleben, gab es in den vergangenen 30 bis 40 Jahren selten an der Börse.“

Zehn Stunden verbringt er normalerweise auf dem Frankfurter Parkett und stellt Kurse, angestellt bei der Maklerfirma Close Brothers Seydler, die zu den größten Skontroführern im Saal gehört. Ungefähr 250 meist ausländische Werte hat er im Blick – und die Kollegen, die in der Gemengelage aus Angst und Panik Käufer und Verkäufer zueinander bringen müssen.

Heldenstatus nach dem 2:1

Vor den Toren Frankfurts, im benachbarten Offenbach, werden die jüngsten Auftritte des Börsenmaklers besonders interessiert zur Kenntnis genommen. Dort ist es ein Wiedersehen mit einem Mann, der sich als kraftvoller Stürmer des heimischen Offenbacher Fußballclubs (OFC) Kickers in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre einen Namen gemacht hat und spätestens seit dem 19. Juni 1999 Heldenstatus genießt. Damals schoss er im Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga beim VfL Osnabrück in der Nachspielzeit den erlösenden 2:1-Siegtreffer. Danach brachen alle Dämme – der Traditionsverein war nach mehr als zehn Jahren endlich wieder aus den Tiefen des Amateurdaseins erlöst.

Dass Roth auf dem Fußballplatz wie auf dem Börsenparkett gleichermaßen eine gute Figur macht, mag für Außenstehende ungewöhnlich erscheinen. Für ihn selbst ist es eine ganz normale Sache. Rasen und Parkett gehen in seinen Äußerungen sogar eine symbiotische Beziehung ein: Ohne das eine kann er das andere nicht gut machen. „Fußball hat mir nach der Arbeit als Makler den Kopf freigemacht; und nur Fußball war mir zu flach“, sagt er.

Untreu geworden und daraus gelernt

Es war letztlich eine Niederlage, die ihn in seinem Berufsleben zweigleisig fahren ließ. Mit 17 Jahren spielte der talentierte Fußballer erstmals für den FSV Frankfurt in der Oberliga Hessen. So zuverlässig und häufig traf er in darauffolgenden drei Jahren das Tor, dass der Bundesligaverein Borussia Dortmund auf ihn aufmerksam wurde. Im Alter von 20 Jahren wurde das Westfalenstadion seine sportliche Heimat – in der Saison 1988/89. Andreas Möller, Michael Rummenigge und Thomas Helmer spielten damals in der Mannschaft. Der Verein gewann in der Saison sogar den DFB-Pokal. Doch für Roth selbst war die Situation absolut unbefriedigend. Er konnte sich nicht durchsetzen, bekam vom damaligen Trainer Horst Köppel keine Chance. Trotz seines jugendlichen Alters gestand er sich am Saisonende nüchtern ein, dass das ihm geschenkte Talent für die Eliteliga offenbar nicht ausreichte.

Eine Vorstellung als zweitklassiger Profi wollte er aber auch nicht geben. Dafür war er wiederum zu ehrgeizig. Nur einmal ist er sich untreu geworden. Nach dem Tor von Osnabrück ließ er sich breitschlagen und von den Kickers für eine Spielzeit als Vollprofi verpflichten. Sein Arbeitsverhältnis als Makler ruhte während dieser Zeit. Doch die folgende Zweitligasaison war für alle Beteiligten enttäuschend. Schließlich stiegen die Kickers gleich wieder ab. „Die Entscheidung war ein Fehler“, erinnert er sich nur ungern an sein letztes Jahr als OFC-Spieler. Er war sich untreu geworden – und er hat daraus gelernt.

„Man muss Geber- und Nehmerqualitäten haben“

Das Scheitern in Dortmund erwies sich im Nachhinein als Glücksfall. Es brachte ihn auf die Gleise, die ihm doch noch Erfolge bescherten. Mit der Hochschulreife und dem Abschluss als Industriekaufmann im Gepäck, kehrte er ins Rhein-Main-Gebiet zurück. Es war dann ausgerechnet die Wahl des neuen Vereins, die ihm den Weg an die Börse ebnete. Der junge Mann folgte dem Lockruf von Rot-Weiß Frankfurt in die Hessenliga. Ein kleiner Verein mit damals großen Ambitionen; angeführt von Wolfgang Steubing, Gründer und Chef des gleichnamigen Frankfurter Börsenmaklerbüros.

Steubing, eine schillernde Unternehmerpersönlichkeit, achtete darauf, dass die verpflichteten Jungs nicht nur ordentlich Fußball spielten, sondern auch für seine Firma zu gebrauchen waren. „Ich war der Meinung, dass die Börse etwas für mich ist“, blickt Roth auf diesen Neustart zurück. So begann er, in der Woche an der Börse Kurse zu stellen – und am Wochenende schoss er weiterhin zuverlässig seine Tore. „Man kommt im Leben immer wieder an Kreuzungen, wo Entscheidungen zu treffen sind – und das hat einfach gepasst.“ Tatsächlich fasste er erstaunlich schnell Fuß in der Finanzwelt. „Die Börse kann man nicht erlernen, wie beim Sport muss man Talent dafür haben“, lautet eine Schlussfolgerung aus den ersten Berufsjahren. Damit erschöpfen sich für ihn aber längst noch nicht die Parallelen zwischen diesen beiden so unterschiedlich anmutenden Welten. „An der Börse wie auf dem Platz geht es schnell und manchmal auch brutal zu“, setzt er die Aufzählung von Gemeinsamkeiten fort. „Man muss Geber- und Nehmerqualitäten haben, schnell entscheiden können und dabei häufiger richtig als falsch liegen.“ Entscheidend für den Erfolg sei ein intakter Mannschaftsgeist, dass man sich aufeinander verlassen könne. Nur die Konsequenzen nach Fehlern sind unterschiedlich: „Im Fußball fängt man ein Tor, an der Börse verliert man Geld.“

Für den Bachelor nach Alabama

Geradlinig verlief die Laufbahn von Oliver Roth nicht. Im Sommer 1995 – nach sechs Jahren Rot-Weiß Frankfurt und sechs Jahren bei Steubing – hatte er erst einmal genug vom Dasein als Börsenmakler. „Ich habe mir Gedanken gemacht und erkannt, dass der Beruf des Börsenhändlers in meinen Augen nicht besonders ergiebig erscheint. Deswegen beginne ich lieber jetzt mit etwas Neuem als in zehn oder 15 Jahren“, sagte Roth damals und verabschiedete sich nach Amerika. Im Südstaat Alabama schrieb er sich an der Universität von Birmingham ein und machte sich auf den Weg zum „Bachelor of Business Administration“.

Heute klingt der damals überraschende Abschied aus Deutschland etwas versöhnlicher: „Ich habe gemerkt, dass Weiterbildung elementar für mein weiteres Leben sein muss. Ich brauchte das, um mir ein breiteres Blickfeld zu verschaffen.“ Nicht zuletzt sei es ihm auch darum gegangen, seine Englischkenntnisse zu verbessern. Bei allem Zauber des Neubeginns hielt es ihn aber nicht länger als ein Jahr in Alabama. Im Herbst 1996 war er schon wieder zurück im Rhein-Main-Gebiet. Zum einen war sein Verhältnis zum Beruf des Börsenmaklers nicht so weit abgekühlt, dass ein Wiedereinstieg ausgeschlossen war. Eine Rückkehr zu Steubing gab es zwar nicht mehr. Aber das Angebot der Maklerfirma Seydler erschien lukrativ. So landete der damals 28-Jährige Mitte 1996 zum einen wieder auf dem Frankfurter Börsenparkett – und zum anderen bei dem Fußballverein, den er mit seinem Auftritt und seinen Toren nachhaltig prägen sollte.

„Er ist aufgeräumt im Kopf“

Der Ruhm der Kickers-Glanzzeiten in den sechziger und siebziger Jahren war damals verblasst. Immer weniger Zuschauer fanden den Weg in das Kultstadion Bieberer Berg. „Die waren so weit unten, da konnte man etwas bewegen“, begründet er seine Entscheidung. Der OFC und Roth – das war Liebe auf den ersten Blick. Die Mannschaft akzeptierte ihn ohne Einschränkung als Anführer. Er wurde, was man gemeinhin als Leitwolf bezeichnet. Gerne wird in Offenbach die Geschichte erzählt, wie sich Roth einmal in der Halbzeitpause das Stadionmikrofon griff und frontal die Anhängerschaft in den Senkel stellte. Einige Fans hatten zuvor einen Mitspieler bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Wenn ihnen was nicht passe, dann sollten sie die ganze Mannschaft auspfeifen, nahm der Kapitän seinen Mitspieler in Schutz.

In solchen Momenten kommt der Charakter von Roth zur Geltung: Wenn ihm etwas nicht passt, dann sagt er es direkt und ohne Schnörkel. So wie er gelernt hat, Erfahrungen und Erlebnisse in verständlichen Worten zu reflektieren. „Er ist aufgeräumt im Kopf“, beschreibt ihn ein Wegbegleiter. Solche Fähigkeiten machen ihn nun auch für viele Fernsehzuschauer zu einem glaubwürdigen Begleiter durch die Finanzkrise. „Ich wurde immer schon vorgeschickt, um Statements zu geben – das ist nichts Neues“, sagt er. Neu ist nur, dass diese Erfahrung in der laufenden Finanzkrise erstmals in seinem Beruf als Börsianer voll zur Geltung kommt. Weit über die Stadtgrenzen von Offenbach hinaus, wo die Leute erfreut feststellen, dass sich der „Oli“ auch an der Börse in seinem Auftreten treu bleibt.

Zur Person:

– Oliver Roth wird 1968 in Frankfurt geboren. Nach der Schule schließt er eine Lehre als Industriekaufmann ab, erwirbt später den „Master of Business Administration“ der Universität Birmingham/Alabama.

– Er lernt das Fußballspielen in Frankfurt und wechselt 1988 als Profi zu Borussia Dortmund. Von 1989 bis 1995 spielt er für Rot-Weiß Frankfurt und von 1996 bis 2000 für Kickers Offenbach.

– 1989 tritt er in das Maklerbüro Steubing als Börsenmakler ein. Seit 1996 arbeitet er als Kapitalmarktstratege für die Close Brothers Seydler bank AG.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa, picture-alliance / dpa, Rainer Wohlfahrt, Wonge Bergmann

Quelle: http://www.faz.net/s/RubFB1F9CD53135470AA600A7D04B278528/Doc~EC3AAB0AD103843BAAC5A56F208C4274F~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Mein Weg

Ich über mich: Oliver Roth

Oliver Roth hatte als Mittelstürmer nicht immer das größte Laufpensum, aber im Spiel wie an der Börse oftmals den richtigen Riecher.

27. Oktober 2008

Ein guter Arbeitstag beginnt mit …

… den Kindern und einem guten Frühstück.

Die Zeit vergesse ich, wenn …

… ich Fußball spiele.

Wer es in meinem Geschäft zu etwas bringen will, der …

… muss die zweite Luft haben.

Erfolge feiere ich …

… mit einem Glas Wein.

Es bringt mich auf die Palme, …

… wenn sich Leute mit Halbwissen äußern.

Mit 18 Jahren wollte ich …

… Fußballer werden.

Im Rückblick würde ich nicht noch einmal …

… – es gibt nichts zu bereuen, aus allem habe ich gelernt.

Geld macht mich …

… nicht glücklich.

Rat suche ich bei …

… meiner Familie und bei Freunden.

Familie und Beruf sind …

… oft nur schwer zu vereinbaren.

Den Kindern rate ich …

… nicht auf das Äußere zu achten, sondern den inneren Wert zu schätzen.

Mein Weg führt mich …

… hoffentlich noch einige Jahre gesund durchs Leben.

Text: F.A.Z.

Quelle: http://www.faz.net/s/RubFB1F9CD53135470AA600A7D04B278528/Doc~E1726B8AFAF2446EB91CE4D9881A467CE~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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